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Lukas 15,1-3.11b-32 | 3. Sonntag nach Trinitatis | 16.06.2024

Einführung in das Lukasevangelium

1. Verfasser

Das dritte Evangelium ist das einzige, dessen Verfasser in der ersten Person Singular auf sich als Autor verweist (Lk 1,3), allerdings nennt er nicht seinen Namen, sondern nur den seines Adressaten Theophilus. Er ist kein Augenzeuge, sondern in seinem Zeugnis von solchen abhängig (Lk 1,2). Der erstmals in der inscriptio von P75 ca. ein Jahrhundert nach der Abfassung des Evangeliums genannte Name Lukas, der etwa zur gleichen Zeit auch bei Irenäus bezeugt wird (Adv Haer III,1,1), könnte fiktiv sein, wenngleich er sich im Unterschied zu ‚Matthäus‘ oder ‚Johannes‘ weniger für eine Fiktion nahelegt, da sich mit ihm keine unmittelbare apostolische Autorität reklamieren lässt. Der ebenfalls in das späte zweite Jahrhundert zu datierende Kanon Muratori identifiziert den Verfasser aufgrund der „Wir-Passagen“ in der Apostelgeschichte mit dem in Phlm 24 und 2 Tim 4,11 genannten Paulusbegleiter und dem in Kol 4,14 genannten Arzt Lukas. Bleibt letzteres unsicher, so gewinnt die Annahme, dass es sich um einen Paulusbegleiter handeln könnte, wieder an Zustimmung (vgl. Wolter 8). Wurde früher oft angenommen, dass er wegen fehlender Kenntnisse Palästinas, des Vermeidens semitischer Begriffe und seiner Zurückhaltung gegenüber der Sühnevorstellung Heidenchrist gewesen sein müsse (vgl. Fitzmyer 42-47), so wird heute aufgrund der genauen Kenntnis der griechischen Übersetzung des Alten Testaments sowie jüdischer Interna (Lehrdifferenzen zwischen Sadduzäern und Pharisäern), aber auch wegen seines Interesses an der Israelfrage häufig angenommen, dass er Jude war (vgl. Smith: Luke). Die Verbindung von biblischem und hellenistischem Denken, das Desinteresse an der Gesetzesfrage und die Rolle der „Gottesfürchtigen“ in der Apostelgeschichte machen es jedoch mindestens ebenso wahrscheinlich, dass Lukas aus dem Kreis der „Gottesfürchtigen“ stammt, Sympathisanten der Synagoge, die wegen des Verlustes der gesellschaftlichen Beziehungen, den Beschneidung und das Einhalten der Reinheitsgebote nach sich zogen, den Übertritt zum Judentum nicht vollziehen wollten / konnten. Damit ließe sich die „doppelte kulturelle Identität des Verfassers“ am ungezwungensten erklären (Marguerat 33; Bovon I, 22); Lukas stünde „nicht nur theologisch, sondern auch biographisch zwischen Judentum und Hellenismus“ (Kraus 244).

2. Adressaten

Die Anrede an Theophilus als einen in der christlichen Überlieferung Unterwiesenen (Lk 1,4) zeigt, dass sich Lukas an Christen richtet. Aber sein Bemühen, als „Evangelist der Griechen“ (Wiefel 4) seine Botschaft in den kulturellen Kontext der griechisch-römischen Welt zu übersetzten, lässt vermuten, dass er sein Werk auch als eine zur werbenden Weitergabe an Nichtchristen geeignete Schrift angelegt hat. Paradigmatisch dokumentiert das die - zumindest in der vorliegenden Form von Lukas verfasste - Areopagrede (Apg 17, 22–32), das „Muster einer Missionsrede an Gebildete“ (Harnack 391).

3. Datierung

Die Datierung schwankt – von einer Frühdatierung um 60 n.Chr. bis weit ins 2. Jahrhundert hinein. Die deutliche Mehrheit der Auslegerinnen und Ausleger nimmt als frühesten Zeitpunkt die Zerstörung Jerusalems an, auf die das Evangelium zurückblickt (vgl. Lk 21,20–24 mit Mk 13,14–20; Lk 19,43f) und bestimmt den spätesten Zeitpunkt von der Apostelgeschichte her, deren Paulusbild gegenüber dem Paulus der Briefe hagiographisch überhöht ist. Da die relativ wohlwollende Darstellung der römischen Herrschaft nicht so recht in die Spätzeit Domitians mit dessen übersteigertem Herrscherkult seit Beginn der 90er Jahre passt (vgl. Johannesoffenbarung), Lukas die Sammlung der Paulusbriefe noch nicht zu kennen scheint und die Front gegenüber dem Judentum nicht so verhärtet ist wie bei Matthäus, wird das Doppelwerk meist zwischen 75 und 90 verortet. Ein nicht allzu spätes Abfassungsdatum legt sich auch nahe, wenn man die Möglichkeit in Betracht zieht, dass Lukas Begleiter des Paulus gewesen sein könnte.

4. Entstehungsort

Ungenaue Kenntnis der geographischen Verhältnisse Palästinas und abnehmendes Interesse an jüdischen Bräuchen machen eine Herkunft aus dem im jüdischen Stammland unwahrscheinlich; aufgrund diverser Angaben in der Apostelgeschichte werden vor allem Antiochia, Cäsarea, Rom und Philippi vermutet; keine Annahme konnte sich bislang überzeugend durchsetzen.

5. Theologisches Zentrum: Gott

In der längsten Zusammenfassung der Jesusvita außerhalb der Evangelien Apg 10,37-43 wird Jesus einmal genannt, Gott fünfmal. Diese Theozentrik ist Programm und bestimmt das ganze Doppelwerk, wie schon die Statistik zeigt: Das Appellativum θεός (das sich jeweils bis auf wenige Ausnahmen auf den biblischen Gott bezieht) findet sich bei Markus 48mal, bei Matthäus 51mal und bei Johannes 83mal, im lukanischen Doppelwerk aber 290mal (Evangelium 122, Apostelgeschichte 168); hinzu kommt der namensäquivalente Gebrauch von Gottesepitheta wie „Herr“, „Höchster“, „Mächtiger“, „Retter“ oder „Gebieter“. Zudem wird der göttliche Machtbereich entschiedener als in den anderen Evangelien als „heilig“ abgesetzt – das Adjektiv ἅγιος findet sich 7mal bei Markus, 10mal bei Matthäus und 5mal bei Johannes, im Doppelwerk aber 73mal. Zentrales Thema des Lukasevangeliums ist also Gott – der Gott, den Jesus von seinem ersten Wort als Jugendlicher (Lk 2,49) bis zu seinem letzten Wort als Sterbender (Lk 23,46 vgl. 23,34) als Vater anruft. Die göttliche Vaterschaft ist nicht nur Zentrum seines Betens (Lk 11,2-4.11-13; 22,42), sondern auch seines Selbstverständnisses (Lk 10,21f), seiner Ethik (Lk 6,35f) und seiner Verkündigung (Lk 15,11-32). Dessen Barmherzigkeit, programmatisch in den Lobgesängen des Anfangs gepriesen (Lk 1,50.54.72.78), bestimmt Jesu Worte, Werke und sein Verhalten. Weil dieser Gott als „Akteur im Hintergrund“ (Schmidt) alles durch „den festgesetzten Willen und das Vorauswissen“ lenkt (Apg 2,23), ist auch in Jesu scheinbarem Scheitern nur das geschehen, „was seine Hand und Wille zuvor festgesetzt hat“ (Apg 4,28). Indem so Gottes „mitleidende Barmherzigkeit“ denen, die in Finsternis und im Schatten des Todes sitzen, den Morgenglanz seiner Ewigkeit aufstrahlen ließ (Lk 1,78f) wurde inmitten allen Unheils jenseits von Eden Heilsgeschichte möglich, wurde „die Tür zum schönen Paradeis“ wieder aufgeschlossen (EG 27,6 vgl. Lk 23,43).

6. Besonderheit: Die Hermeneutik der Doppelkodierung

Lukas entstammte der gebildeten Schicht der hellenistischen Welt. Entsprechend sein Bemühen, die christliche Botschaft als ein Angebot für Gebildete darzubieten, das sich in konzentrierter Form in der bereits erwähnten Areopagrede des Paulus zeigt, in deren semantischer Ambivalenz sich sich wie in einem Brennglas die lukanische Hermeneutik der Doppelkodierung spiegelt: Zum einen wird das christliche Zeugnis an die biblische Überlieferung zurückgebunden und in deren Licht gedeutet, zugleich aber profiliert Lukas seinen zweigeteilten „Bericht“ im ständigen Dialog mit den Bildungstraditionen seiner Zielgruppe in der hellenistischen Welt (vgl. M.Becker: Dion). So werden gerade die markanten Besonderheiten des Doppelwerks vom Magnifikat über die Weihnachtsgeschichte, die Kindheitsgeschichte, die Darstellung des Täufers, die Ethik einer imitatio Dei, die Tischreden bis hin zu den Passions- und Ostererzählungen so dargeboten, dass sie aus doppelter Perspektive plausibilisiert werden. So verweist die auf das Leiden und Sterben erfolgende Himmelfahrt auch terminologisch auf die frühjüdische Eliatradition (vgl. 2 Kön 2,9.10.11; Sir 48,9; 1 Makk 2,58), aber mit überraschender Deutlichkeit eben auch auf Herakles, der als „Retter (σωτήρ) der Erde und der Menschen“ (Dion or. 1,84) nach seinem Sterben, bei dem er den „Vater“ gebeten hat, seinen Geist zu sich aufzunehmen (vgl. Ps._Seneca: Hercules Oeteus 1695.1703f mit Lk 23,46), vom „allmächtigen Vater“ im „Vierrossegespann“ nach oben „entrafft“ und „unter die strahlenden Sterne versetzt“ (Ovid: Met. IX,271f), also vergöttlicht wurde. Diese Doppelkodierung reicht bis in das Gottesverständnis: So wird die Verbindung von Gott und Leben als Inbegriff der biblischen Gottesoffenbarung vom lukanischen Jesus deutlicher unterstrichen als in seinen Vorlagen (Lk 20,36.38 vgl. E.-M. Becker), zugleich aber betont der lukanische Paulus im Anschluss an die stoische Religionsphilosophie dieselbe Verbindung als Charakteristikum der paganen Gottesahnung (Apg 17,25.28), wobei er sogar zustimmend einen paganen Zeushymnus zitieren kann (Apg 17,28), zugleich aber die Religiosität der gebildeten ‚Heiden‘ durch Bezug auf die Auferstehung eingemeindet (Apg 17,31 vgl. 17,18).

Literatur:

  • Eve-Marie Becker: Wie Lukas über den ‚Gott der Lebenden‘ spricht und für den sachkundigen Leser Geschichte schreibt. Lk 20,27-40 par. Mk 12,18-27 im Vergleich; in: J.Dochhorn, R.Hirsch Luipold, I.Tanaseanu Döbler: Über Gott. FS Reinhard Feldmeier, Tübingen 2022, 207-222.
  • Matthias Becker: Lukas und Dion von Prusa. Das lukanische Doppelwerk im Kontext paganer Bildungsdiskurse, SCCB 3, Paderborn 2020.
  • F. Bovon: Das Evangelium nach Lukas, EKK III/1-3, Neukirchen-Vluyn/Zürich 20193
  • Joseph Fitzmyer: The Gospel According to Luke I-IX: Introduction, Translation, and Notes (The Anchor Bible, Vol. 28).
  • Adolf von Harnack: Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten I, Leipzig 19244.
  • Wolfgang Kraus: Lukas: Urchristlicher Schriftsteller zwischen Judentum und Hellenismus, in: Christoph Barnbrock / Werner Klän (Hgg.): Gottes Wort in der Zeit: verstehen – verkündigen – verbreiten, FS V.Stolle, ThFW 12, Münster 2005.
  • Daniel Marguerat: Die Apostelgeschichte, KEK 3, Göttingen 2022.
  • Joshua Paul Smith: Luke Was Not A Christian: Reading the Third Gospel and Acts within Judaism; BIS 218, Leiden 2023.
  • Karl Matthias Schmidt: Akteur im Hintergrund. Anmerkungen zur Anwesenheit der Erzählfigur „Gott“ in der lukanischen Kindheitserzählung, in: Eisen, U. E. / Müller, I. (Hg.), Gott als Figur. Narratologische Analysen biblischer Texte und ihrer Adaptionen, HBS 82, Freiburg 2016, 295-320.
  • Wolfgang Wiefel: Das Evangelium nach Lukas, ThHK 3, Leipzig 1988.
  • M. Wolter: Das Lukasevangelium, HNT 5, Tübingen 2008.

A) Exegese kompakt: Lk 15,11b-32

11Εἶπεν δέ· ἄνθρωπός τις εἶχεν δύο υἱούς. 12καὶ εἶπεν ὁ νεώτερος αὐτῶν τῷ πατρί· πάτερ, δός μοι τὸ ἐπιβάλλον μέρος τῆς οὐσίας. ὁ δὲ διεῖλεν αὐτοῖς τὸν βίον. 13καὶ μετ’ οὐ πολλὰς ἡμέρας συναγαγὼν πάντα ὁ νεώτερος υἱὸς ἀπεδήμησεν εἰς χώραν μακρὰν καὶ ἐκεῖ διεσκόρπισεν τὴν οὐσίαν αὐτοῦ ζῶν ἀσώτως. 14δαπανήσαντος δὲ αὐτοῦ πάντα ἐγένετο λιμὸς ἰσχυρὰ κατὰ τὴν χώραν ἐκείνην, καὶ αὐτὸς ἤρξατο ὑστερεῖσθαι. 15καὶ πορευθεὶς ἐκολλήθη ἑνὶ τῶν πολιτῶν τῆς χώρας ἐκείνης, καὶ ἔπεμψεν αὐτὸν εἰς τοὺς ἀγροὺς αὐτοῦ βόσκειν χοίρους, 16καὶ ἐπεθύμει χορτασθῆναι ἐκ τῶν κερατίων ὧν ἤσθιον οἱ χοῖροι, καὶ οὐδεὶς ἐδίδου αὐτῷ. 17εἰς ἑαυτὸν δὲ ἐλθὼν ἔφη· πόσοι μίσθιοι τοῦ πατρός μου περισσεύονται ἄρτων, ἐγὼ δὲ λιμῷ ὧδε ἀπόλλυμαι. 18ἀναστὰς πορεύσομαι πρὸς τὸν πατέρα μου καὶ ἐρῶ αὐτῷ· πάτερ, ἥμαρτον εἰς τὸν οὐρανὸν καὶ ἐνώπιόν σου, 19οὐκέτι εἰμὶ ἄξιος κληθῆναι υἱός σου· ποίησόν με ὡς ἕνα τῶν μισθίων σου. 20καὶ ἀναστὰς ἦλθεν πρὸς τὸν πατέρα ἑαυτοῦ. Ἔτι δὲ αὐτοῦ μακρὰν ἀπέχοντος εἶδεν αὐτὸν ὁ πατὴρ αὐτοῦ καὶ ἐσπλαγχνίσθη καὶ δραμὼν ἐπέπεσεν ἐπὶ τὸν τράχηλον αὐτοῦ καὶ κατεφίλησεν αὐτόν. 21εἶπεν δὲ ὁ υἱὸς αὐτῷ· πάτερ, ἥμαρτον εἰς τὸν οὐρανὸν καὶ ἐνώπιόν σου, οὐκέτι εἰμὶ ἄξιος κληθῆναι υἱός σου. 22εἶπεν δὲ ὁ πατὴρ πρὸς τοὺς δούλους αὐτοῦ· ταχὺ ἐξενέγκατε στολὴν τὴν πρώτην καὶ ἐνδύσατε αὐτόν, καὶ δότε δακτύλιον εἰς τὴν χεῖρα αὐτοῦ καὶ ὑποδήματα εἰς τοὺς πόδας, 23καὶ φέρετε τὸν μόσχον τὸν σιτευτόν, θύσατε, καὶ φαγόντες εὐφρανθῶμεν, 24ὅτι οὗτος ὁ υἱός μου νεκρὸς ἦν καὶ ἀνέζησεν, ἦν ἀπολωλὼς καὶ εὑρέθη. καὶ ἤρξαντο εὐφραίνεσθαι. 25Ἦν δὲ ὁ υἱὸς αὐτοῦ ὁ πρεσβύτερος ἐν ἀγρῷ· καὶ ὡς ἐρχόμενος ἤγγισεν τῇ οἰκίᾳ, ἤκουσεν συμφωνίας καὶ χορῶν, 26καὶ προσκαλεσάμενος ἕνα τῶν παίδων ἐπυνθάνετο τί ἂν εἴη ταῦτα. 27ὁ δὲ εἶπεν αὐτῷ ὅτι ὁ ἀδελφός σου ἥκει, καὶ ἔθυσεν ὁ πατήρ σου τὸν μόσχον τὸν σιτευτόν, ὅτι ὑγιαίνοντα αὐτὸν ἀπέλαβεν. 28ὠργίσθη δὲ καὶ οὐκ ἤθελεν εἰσελθεῖν, ὁ δὲ πατὴρ αὐτοῦ ἐξελθὼν παρεκάλει αὐτόν. 29ὁ δὲ ἀποκριθεὶς εἶπεν τῷ πατρὶ αὐτοῦ· ἰδοὺ τοσαῦτα ἔτη δουλεύω σοι καὶ οὐδέποτε ἐντολήν σου παρῆλθον, καὶ ἐμοὶ οὐδέποτε ἔδωκας ἔριφον ἵνα μετὰ τῶν φίλων μου εὐφρανθῶ· 30ὅτε δὲ ὁ υἱός σου οὗτος ὁ καταφαγών σου τὸν βίον μετὰ πορνῶν ἦλθεν, ἔθυσας αὐτῷ τὸν σιτευτὸν μόσχον. 31ὁ δὲ εἶπεν αὐτῷ· τέκνον, σὺ πάντοτε μετ’ ἐμοῦ εἶ, καὶ πάντα τὰ ἐμὰ σά ἐστιν· 32εὐφρανθῆναι δὲ καὶ χαρῆναι ἔδει, ὅτι ὁ ἀδελφός σου οὗτος νεκρὸς ἦν καὶ ἔζησεν, καὶ ἀπολωλὼς καὶ εὑρέθη.

Lukas 15:11-32NA28Bibelstelle anzeigen

Übersetzung

11. Er sagte aber:

„Ein Mensch hatte zwei Söhne.

12. Der Jüngere von ihnen sagte zu seinem Vater:

‚Vater, gib mir den mir zufallenden Teil der Habe.‘

Er aber teilte ihnen das Vermögen (bios).

13. Und nach nicht vielen Tagen

packte der jüngere Sohn alles zusammen

und verreiste in ein fernes Land,

und dort verschwendete er seine Habe,

indem er liederlich lebte.

All er nun all das Seine ausgegeben hatte,

kam eine große Hungersnot über jenes Land,

und er begann Mangel zu leiden.

15. Und er ging hin

und hängte sich an einen Bürger jenes Landes,

und der schickte ihn auf seine Felder zum Schweinehüten.

16. Und er wünschte sich,

satt zu werden von den Schoten des Johannisbrotbaums,

welche die Schweine fraßen,

und niemand gab sie ihm.

17. Und er kam zu sich und sprach:

‚Wie viele Taglöhner meines Vaters haben Brot im Überfluss,

ich aber gehe hier an Hunger zugrunde.

18. Ich werde aufstehen und zu meinem Vater gehen und ihm sagen:

›Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir,

19. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn genannt zu werden.

Mache mich wie einen deiner Tagelöhner‹.

20. Und er stand auf und kam zu seinem Vater.

Als er aber noch weit weg war,

sah ihn sein Vater und er e­barmte sich

und lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn.

21. Der Sohn aber sprach zu ihm:

‚Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir.

Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn genannt zu werden.‘

22. Aber der Vater sagte zu seinen Knechten:

‚Holt schnell das beste Gewand heraus und zieht es ihm an,

und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Sandalen an die Füße.

23. Bringt das mit Getreide gemästet Kalb, schlachtet es.

Wir wollen essen und fröhlich sein.

24. Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden,

er war verloren / umgekommen und ist wiedergefunden‘.

Und sie begannen, fröhlich zu sein.

25. Sein älterer Sohn aber war auf dem Feld.

Und als er kam und sich dem Haus näherte,

hörte er Musik und Chorgesänge.

26. Und er rief zu sich einen der Knechte und fragte, was das sei.

27. Der aber sagte ihm:

‚Dein Bruder ist gekommen,

und dein Vater hat das mit Getreide gemästete Kalb geschlachtet,

weil er ihn gesund wiederbekommen hat‘.

28. Er aber wurde zornig und wollte nicht hineingehen.

Sein Vater aber ging hinaus und lud ihn ein.

29. Er aber antwortete seinem Vater:

‚Siehe, so viele Jahre diene ich dir

und habe niemals dein Gebot übertreten,

und mir hast du nicht einmal einen Bock gegeben,

dass ich mit meinen Freunden feiere.

30. Kaum aber ist dieser dein Sohn gekommen,

der dein Vermögen (βίος) mit Huren verprasst hat,

da schlachtest du für ihn das mit Getreide gemästete Kalb‘.

31. Er aber sagte zu ihm:

‚Kind, du bist immer bei mir,

und alles das Meine ist Deines.

32. Aber jetzt müssen wir doch froh sein und uns freuen,

denn dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden,

er war verloren / umgekommen und ist wiedergefunden‘.

1. Fragen und Hilfen zur Übersetzung

Zentrales Stichwort ist der Begriff σπλαγχνίζομαι, der – meist mit ‚Erbarmen‘ übersetzt – die Reaktion des Vaters umschreibt, welche in V. 20 die entscheidende Wendung einleitet. Das Verb ist eine Ableitung von σπλάγχνα, der Bezeichnung für die Eingeweide, das dann metaphorisch auch für das Innerste des Menschen im Sinne seines (Mit-)Gefühls verwendet werden kann. Am nächsten kommt dem das Deutsche ‚etwas geht mir an die Nieren‘ oder etwas freier: ‚es greift mir ans Herz‘. Der Begriff wird zusammen mit ἔλεος bereits im Benedictus Lk 1,78 programmatisch für die „herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes“ (Luther) verwendet, durch welche denen, die im Schatten des Todes sitzen, der Morgenglanz der Ewigkeit aufgeht. In Lk 7,13 beschreibt es die Regung Jesu, welche das Wunder der Auferweckung des Jünglings zu Nain einleitet, und in Lk 10,33 die Reaktion des barmherzigen Samariters, aufgrund derer er sich des Überfallenen annimmt und dessen Leben rettet. In gleicher Weise ist auch hier das Mitleiden des Vaters am Elend des Kindes der Grund für dessen Rettung aus der Todessphäre (Lk 15,24.32).

2. Gattung und Kontext

Bei der Erzählung handelt es sich um eine Parabel; im Unterschied zum Gleichnis erzählt sie ein besonderes Geschehen, das nicht im Präsens, sondern in der Vergangenheitsform (Aorist) wiedergegeben wird. Die Parabel findet sich nur bei Lukas, d.h. sie entstammt dem lukanischen Sondergut, in dem sich zahlreiche bekannte Bildworte finden (barmherziger Samariter, Pharisäer und Zöllner, reicher Mann und armer Lazarus etc.). Die Besonderheit unseres Textes besteht darin, dass er zweigipflig ist. Das hat mit dem Kontext zu tun: Wie in Lk 15,1-3 zu sehen ist, kommt es zum Streit mit den Pharisäern und Schriftgelehrten wegen Jesu Zuwendung zu Zöllnern und Sündern (vgl. Lk 5,29-32). Die Gegner sehen sehr scharf, dass diese Zuwendung nicht zu trennen ist von Jesu Anspruch, dass mit ihm Gottes Herrschaft hereinbricht und sich somit in seinem Verhalten Gottes eigenes Verhältnis zu diesen Menschen widerspiegelt: „Dieser nimmt die Sünder an“. In der Gleichnistrilogie formuliert Jesus sein Gegenargument, indem er zunächst in den beiden ersten parallel aufgebauten Gleichnissen vom verirrten Schaf und der verlorenen Drachme die Freude des Himmels über das Finden der Verlorenen als das eigentlich Selbstverständliche plausibilisiert. Die dritte Erzählung vom ‚verlorenen Sohn‘ vertieft dies, indem es sich jetzt nicht mehr um das Verhältnis zu einem Tier oder einer Sache handelt, die verloren gehen, sondern um ein personales Beziehungsgeschehen mit drei eigenständig agierenden Beteiligten. Durch diesen personalen Aspekt gewinnt das Thema Verlieren und Finden an Tiefenschärfe: Das ‘Verlorengehen’ beruht nun auf einer schuldhaften Entscheidung eines Sohnes, der sich vom Vater lossagt. Ebenso setzt das ‚Finden‘ und ‚Retten‘ von beiden Seiten die Bereitschaft voraus, wieder aufeinander zuzugehen, von Seiten des Sohnes in Gestalt der Reue und Umkehr, auf Seiten des Vaters in Gestalt von Erbarmen und Vergebung. War in den beiden ersten Gleichnissen nur vom Finden des Verlorenen die Rede, so wird das jetzt aufgrund der Korrespondenz von menschlicher Umkehr und göttlicher Barmherzigkeit überboten durch die Rückkehr des Toten ins Leben. Zugleich erhält der Widerstand, der seit dem Murren der Schriftgelehrten (Lk 15,2) im Hintergrund stand, in Gestalt des zuhause gebliebenen Sohnes innerhalb der Erzählung selbst eine Stimme.

3. Schwerpunkt der Interpretation

Der Schlüssel ist neben dem Erbarmen das Wort, mit dem der Vater sowohl am Ende der ersten Hälfte wie am Ende der zweiten geradezu refrainartig das Ganze deutet: „Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren / umgekommen und ist wiedergefunden“ (Lk 15,24 vgl. 32). Der Gegensatz von Tod und neuem Leben verweist noch deutlicher als der von Verlorenheit und Wiederfinden (15,4-6.8f) auf die Tiefendimension der Parabel: Sie handelt von dem Menschen, der sich in der Abkehr vom Vater selbst verwirklichen möchte und dabei verloren geht, und zugleich von dem Gott, der durch sein herzliches Erbarmen denen, die im Schatten und der Finsternis des Todes sitzen, neues Leben ermöglicht (Lk 1,78f) und sie so dem Tod entreißt. Zugleich macht die Parabel deutlich, dass eine Rechtschaffenheit, die vordringlich an sich selbst und der eigenen Anerkennung interessiert ist, den anderen ausgrenzt und so in der Maske des Guten dem Lebenswillen Gottes widerstreitet, also das Geschäft des Bösen betreibt. Freilich ist auch diese Warnung umschlossen von dem Zuspruch, dass der Vater auch dem selbstgerechten älteren Sohn nachgeht und ihn (und damit die in 15,1f genannten Gegner Jesu) zur Rückkehr in die Gemeinschaft mit sich einlädt.

4. Theologische Perspektivierung

Es lohnt, sich die Interaktion zwischen Vater und Sohn klar zu machen: Der Sohn beschließt die Heimkehr, um sich ohne alle Ansprüche dem Vater zu unterwerfen und ihn zu bitten, ihn als Knecht wiederaufzunehmen. Der Vater geht dem Sohn entgegen, und ohne dessen Schuldeingeständnis abzuwarten, fällt er ihm um den Hals und küsst ihn. Der Sohn wiederum nutzt die Gunst der Stunde nicht aus, sondern bekennt gleichwohl seine Schuld und Unwürdigkeit und demonstriert so die Aufrichtigkeit seiner Umkehr. Der Vater geht wiederum darauf nicht ein, ja er lässt den Sohn sein Schuldbekenntnis mit der letzten Erniedrigung gar nicht zu Ende sprechen, sondern veranlasst eine Reihe von Maßnahmen, die den Sohn wieder in die Familie und die Hausgemeinschaft eingliedern. Ohne große Erklärungen wird aus den Erzählten sofort evident, wie die göttliche Barmherzigkeit und die Umkehr des Sünders ineinandergreifen und in dieser Interaktion das durch Schuld Abgestorbene wieder lebendig werden lassen.

B) Praktisch-theologische Resonanzen

1. Persönliche Resonanzen

Bezugspunkt für persönliche Resonanzen im Text ist zuerst das Verhalten und Ergehen des verlorenen Sohnes und dann die – modern gesprochen – Selbstbesinnung oder auch Selbstprüfung oder Selbstreflexion als Beginn der ,Wende zum Guten‘. Eine solche Selbstbesinnung ist nun methodisch auch aufseiten derer erforderlich, die predigen. Wann war ich oder bin ich verloren oder werde es/würde es sein?

Dabei muss man auf das Verhältnis dieser luther-biblischen Überschrift zum biblischen Text selbst aufpassen. Wir lesen zwar in V. 24 und 32 vom Verlorengehen, aber die Geschichte selbst erzählt diesseits dieser Deutung zunächst (und sozusagen doch nur) davon, dass ein Sohn wegzieht, sein Geld verbraucht, elend wird und wieder zurückkommt. Woher kenne ich das? Sind meine evtl. vorhandenen Kinder schon ausgezogen oder bin ich selbst das Kind, das einmal wegging oder weggehen will?

Entscheidend sind freilich das Verhalten und Ergehen des Sohnes, wobei ich anders als A den Fokus mit allem Nachdruck nicht erst auf V. 20, sondern bereits auf V. 17–19 setzen will. Abstrakt und mit lehrtechnischem Vokabular gesprochen: Keine Erlösung ohne Erlösungsbedürftigkeit, oder hier auch: Keine Versöhnung ohne Versöhnungsbedürftigkeit. Diesbezüglich ist zu bedenken: Der geläufige ,dogmatische‘ Zugang fokussiert Schuld und Gnade, Sünde und Erbarmen. Parallel dazu kann man auch fragen (gewissermaßen mehr auf der Oberfläche der Geschichte), wie sich uns das, was wir hier lesen, diesseits solcher Deutungen darstellt: Geht es auch um Emanzipation, Selbständigkeit, Scheitern, um Unterstützung, Behüten, Fürsorge oder gar Paternalismus? Und was ist in diesem Kontext mit Ambivalenzen im Verhältnis von Freiheit und Unsicherheit, die bei genauerer Betrachtung auch diesseits der religiösen Perspektiven für Abgründigkeit oder eben auch Verlorenheit sorgen können? Man lese nur, wie problematisch auf der Seite kirchenjahr-evangelisch von diesem Text (im Kontext anderer Predigttexte für diesen Sonntag) gesprochen wird: Gott „lässt sie ihre Wege suchen und ihre Fehler machen: […] das Schaf, das auf Abwege gerät, der Sohn, der es zu Hause nicht mehr aushält“ – der Mensch, der es zu Hause nicht mehr aushält, ist doch in verschiedener Hinsicht nicht so ohne weiteres mit dem „Schaf, das auf Abwege gerät“, zusammenzustellen.

2. Thematische Fokussierung

Der Bibeltext macht es (mitsamt seiner Bekanntheit) nicht leicht, sich auf den Ernst dessen, was wir hier erzählt bekommen, auch angemessen einlassen zu können. Sehr ,große‘ Erfahrungen werden (zu) schnell berichtet, und womöglich fehlt es auch im je individuellen Leben derer, die homiletisch mit dieser Perikope umgehen, an einem Erfahrungshintergrund – wie auch immer erworben –, um sich sozusagen in aller Ruhe auf die Frage einzulassen, was das alles heißt, und zwar: was das alles lebensweltlich heißt: Etwa das heute recht ungebräuchlich gewordene „Prassen“ (V. 13), von A mit einem sachlich plausiblen, aber im Kontext der heutigen Umgangssprachkultur ebenfalls erläuterungsbedürftigen (und ja auch erläuterungsfähigen) Wort als „liederlich leben“ übersetzt – es lohnt ein Blick auf andere Übersetzungsvorschläge: etwa „in Saus und Braus leben“ oder englischsprachig „reckless/rücksichtslos“; es lohnt auch ein Blick auf den luther-biblischen Verweis auf Spr 29,3: „wer aber mit Huren umgeht, kommt um sein Gut“ – auch dann, wenn man dieser ,Konkretion‘ als solcher nicht folgt. Die Frage lautet: Was heißt Prassen oder ggf. auch „liederlich leben“? Impliziert das so etwas wie eine (zumindest Tendenz zum) Abscheu vor sich selbst? Vor allem jetzt: Was genau hat der Sohn hier ,falschgemacht‘? Wo liegt der Fehler, wenn es ihn so eindeutig geben sollte? Was sind die Erfahrungen, was die Gedanken und Gefühle eines solchen Menschen? Zum Beispiel – als Kontrapunkt gegenüber dem Verhältnis zum Vater ein sehr wichtiger Aspekt: In V. 15 lesen wir, der Sohn „hängte sich an einen Bürger“. Was bedeutet das eigentlich: Sich von einem anderen Menschen abhängig machen oder von jemand abhängig sein? Oder: Worin und inwiefern abhängig?

Weiter betont A zu Recht das Entgegenkommen des Vaters und die Wechselseitigkeit bzw. die – abstrakt gesagt – Interdependenz zwischen Zurückkehren und Entgegenkommen. Wie ist das mit dem Vater, der sozusagen aktiv wird und den Sohn sieht, als er noch weit weg war – aber ihn nicht sieht oder sehen konnte, als er zu weit weg war? Und wie ist es mit dem Verlorenbleiben? Aus dem Alltag kennen wir beides: Ich habe meinen Schlüssel verloren, ihn aber wiedergefunden – oder auch nicht. Und was ist im jeweils eigenen Inneren? In Ps 19,13 heißt es: „Wer kann merken, wie oft er fehlet? Verzeihe mir die verborgenen Sünden!“ Ist nicht die eigentliche Verlorenheit an der Verlorenheit die, dass man Verlorenheit als solche nicht mehr bemerkt? Oder wäre das übergriffige Fremdzuschreibung? Dem muss die Predigt nachspüren: Wo bin ich hier nur gelandet? Was ist aus mir geworden? Wie konnte es nur so weit kommen?

3. Theologische Aktualisierung

Grundsätzlich ist wichtig, hier keine narrative Predigt zu halten, weil man meint, das eingängige Kolorit der Erzählung werde es schon tun, sondern dass man sich überhaupt den gedanklichen Problemen stellt, die hier begegnen. Und dabei ist weiter zu beachten: Da das Gleichnis sehr bekannt ist, kann es betroffen sein von einer so naheliegenden wie problematischen Kritik an einer potentiell oder tatsächlich ,langweiligen‘ Predigt. Die vermeintlich bekannten Themen aber rühren an so etwas wie letzte Fragen und auch an einen letzten Ernst unseres Lebens. Es geht um Gott nicht brauchen oder doch brauchen (in systematischer Hinsicht hängt alles am Verhältnis zwischen V. 17–19 und 20) – und weshalb nicht, wann oder wozu aber schon? Es geht um Gott verlieren oder für Gott verloren sein. Wer weiß oder ahnt, was das heißt – bei sich selbst! –, wird das als religiöses Thema religiös nachdenklich bedenken können. Und dabei sollte im Zentrum stehen: Was soll es heißen, dass eine – um gleich beim Kern zu sein – Sünde (im religiösen Sinne als aversio a deo) auch schuldhaft (!) ist? Inwiefern muss ich denn glauben können (!). Habe ich eine Art religiöses Recht, dass mich Gott aus meinem Elend herauslöst? Wohl dem verlorenen Sohn, dass er sich so ,richtig‘ besinnt und selbst (!) umkehrt! Ach Gott: Hilf mir auch dann, wenn ich nicht (mehr) weiß, dass ich Deiner Hilfe bedarf (oder: dass es sie [noch! noch immer! immer wieder!] gibt!

4. Bezug zum Kirchenjahr

Der Text ist Predigttext für den 3. Sonntag nach Trinitatis, den man thematisch auf das Thema „Gott nimmt das Verlorene an“ (so die Kurzpräsentation auf kirchenjahr-evangelisch.de) fokussieren will. Dabei wird auch auf die Beichte eingegangen. Sowohl die Ausdeutung zu Gottes Erbarmen als auch der Blick auf die Beichte können allerdings davon ablenken (wie diese Seite zeigt), worin der sozusagen menschliche Beitrag besteht. Dann wäre nicht Beichte, sondern genauer Buße das Stichwort, den das sogenannte Verlorene muss sich auch als Verloren erkennen, um Zuflucht bei Gott zu suchen. Der Blick auf andere Predigttexte für diesen Sonntag ist wie immer wichtig und aufschlussreich. Zu beachten ist allerdings, dass Lk 15 das Verhältnis Gott und Mensch fokussiert und man überlegen muss, inwiefern in diesem Zusammenhang auch von Jesus (Christus) die Rede sein kann oder soll (so 1Tim 1,12–17). Mi 7,18–20 bietet den Begriff des Zornes Gottes und führt auf den Gedanken an mögliche Alternativen im ,Verhalten‘ Gottes gegenüber den Menschen. Das Schaf aus Lk 15,1–10 ist ein schlechtes Pendant zum Menschen des Predigttextes, kann aber ebenfalls als Kontrast hilfreich sein. Das gilt zuletzt nochmals für Hes 18,1–4.21–24.30–32, weil damit die Frage nach dem laut wird (V. 31f: „macht euch ein neues Herz und einen neuen Geist“!?), was wir (selbst) können und was wir (von Gott) brauchen.

5. Anregungen

Man könnte das fromme Nachdenken der Predigt mit einer positiven Bezugnahme zum Thema Emanzipation und zu Selbständigkeit beginnen – das ist doch etwas Gutes (Vorsicht gegenüber A: „selbst verwirklichen“ in der Abkehr vom Vater). Wie aber ist es mit Grenzen solcher Phänomene (oder: Ziele), und wie ist es, wenn ich speziell auf das religiöse Leben als mein Leben mit Gott blicke (gibt es hier etwas ,Spezielles‘?)? Wann und/oder weshalb möchte ich auch hier eigentlich nicht das Schäflein sein (vgl. neben Johannes und prominent Ps 23 auch EG 593), das sich finden lassen muss? Oder anders: Wenn ich sonst im Leben nicht gern ein Schäflein bin, weshalb sollte ich es hier vielleicht sein wollen oder auch müssen (!)? Zuletzt: Das Leben lehrt Geschichten ohne ,Happy End‘. Dem muss die Predigt, ich finde: im Modus des Betens und genauer in der Perspektive betenden Hoffens, ins Auge blicken.

Autoren

  • Prof. Dr. Reinhard Feldmeier (Einführung und Exegese)
  • Dr. Johannes Greifenstein (Praktisch-theologische Resonanzen)

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